Schnüffeln

Franziska Hauenstein, 23.03.2022

Es fasziniert und berührt mich immer wieder, wenn ich Nero dabei zuschaue, wie er intensiv und 100% konzentriert an irgendeinem Grashalm, einem verrotteten Wurzelstock oder einem frisch „bewässerten“ Laternenpfosten schnüffelt, minutenlang die gleiche, vermeintlich unscheinbare Stelle untersucht und dabei alles um sich herum zu vergessen scheint… er wirkt dann glücklich :-)

Und es macht mich traurig, wenn ich sehe, wie viele Menschen ihre Hunde an der Leine durch die Gegend zerren und die Hunde keine Sekunde irgendwo mal in Ruhe verweilen dürfen. Das macht mich einerseits wütend und die Hunde tun mir leid. Gleichzeitig fühle ich aber auch Mitgefühl für die Menschen… sie wirken getrieben, unzufrieden und scheinen keine Zeit zu haben.

 

Ich kenne es selber ja auch… das Getrieben sein, die Ungeduld… und ich frage mich, ob ich mir selber eigentlich auch wirklich Zeit nehme… Nero lasse ich alle Zeit der Welt, er darf so lange schnüffeln wie er will. Aber wie steht es eigentlich mit mir? Erlaube ich mir das auch?

Ständig habe ich etwas im Kopf, möchte irgendwohin… Angetrieben durch die innere und äussere Leistungsgesellschaft... Angetrieben durch den Druck, jemand sein zu müssen, etwas leisten und erreichen zu müssen, nichts verpassen zu wollen…. Und oft irgendwie auf der Flucht…

Wenn ich mir Zeit nehme, langsamer und bewusster durchs Leben gehe, bekomme ich natürlich viel mehr (von mir) mit und das ist nicht nur angenehm… Unheimliche Fragen können dann zu mir durchdringen… Wer bin ich? Was bin ich wert, wenn ich nichts tue, nichts sichtbar leiste? Welchen Sinn macht das hier eigentlich alles? Wo bin ich zuhause?

Sich Zeit nehmen braucht also auch Mut, denn auch unangenehme Gefühle können anklopfen… es kann erstmal tiefe Verunsicherung und Angst auslösen, niemand zu sein… Gehe ich verloren? Werde ich vergessen?

 

Lieber schnell weiterrennen und irgendetwas tun….

Dabei lohnt es sich so sehr, sich all diesen Fragen und den damit verbundenen Gefühlen zu stellen… denn wenn ich mich traue und mal aushalte, „nichts Besonderes“ zu sein, kann ich möglicherweise erst erkennen, dass ich eigentlich ein unfassbares Wunder bin...

…und genau von dort aus kann ich dann die Nase wieder in den Wind halten und schauen, welches tatsächlich meine Fährte, meine Spur ist. Wenn ich hetze, verliere ich das Gefühl für meinen ganz einzigartigen Weg und hechte jeder Karotte hinterher, die mir irgendjemand vor die Nase hält - und es wimmelt nur so vor Karotten in der Welt...

Schnüffeln ist sich Zeit lassen. Sich Zeit nehmen. Eintauchen ins Leben. Sein.

Die Hunde erinnern uns jeden Tag daran, das Leben voll aus dem Jetzt heraus zu leben und auszukosten. Immer wieder zeigen sie uns, dass das, wonach wir eigentlich alle suchen, so nah ist…eigentlich ständig direkt vor unserer Nase...

 

Ja klar, man kommt nicht unbedingt weiter, wenn man sich Zeit lässt, aber man kann viel mehr mitnehmen, was wirklich zu einem gehört und kommt somit viel erfüllter an…

Und wenn man wirklich richtig Geduld hat, kann es sein, dass man sogar unterwegs schon ankommt – und dann plötzlich gar nicht mehr irgendwo hin will...

Ich nehme mir vor, noch viel mehr zu schnüffeln :-)

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