Schneckentempo

Franziska Hauenstein, 28.10.2021

Nero und ich waren heute wieder im Schneckentempo im Wald unterwegs. Da ist mir auf dem Waldboden eine Schnecke aufgefallen, die vermutlich etwa gleich schnell wie wir auf ihrem Weg war. „Wie passend“, habe ich gedacht… und mir mal vorgestellt, wie es wohl ist, wenn man wirklich sooo langsam unterwegs ist.

Von Aussen wirkt es eher unspektakulär, ja sogar langweilig… aber wie viel mehr ich wahrnehme, wenn ich so langsam gehe… unglaublich, was um mich herum alles ist und lebt… die Farben, das Leben, das Licht… die Welt wird plötzlich so viel facettenreicher, tiefer… ich nehme aber auch erschrocken wahr, dass meine Gedanken wie wildgewordene Pferde herumgaloppieren und dass sich unangenehme Gefühle in mein Bewusstsein drängen…

 

Weil ich so langsam gehe, fällt es mir aber viel leichter, das Gedankenchaos zu erkennen, zu stoppen und einfach hierher zu kommen und einzutauchen in das, was alles da ist. Es hat etwas Heilsames und der Moment gewinnt an Tiefe und Intensität.

Aber dann ist da wieder diese extrem unangenehme Ungeduld. Ein mächtiger innerer Druck, schnell weiterzugehen, bereits woanders zu sein… es fühlt sich fast wie ein Fluchtreflex an… wovor möchte ich denn eigentlich flüchten?

Es bleibt auf jeden Fall viel mehr Zeit, die Welt zu sehen – die äussere und die innere – was nicht nur angenehm ist… Ob wir Menschen wohl darum so durch unser Leben hetzen? Um nicht zu fühlen, was gerade da ist?

Ob die Schnecke wohl auch angespannt oder gestresst ist, weil sie nicht so schnell vorwärts kommt? Lässt sie sich auch verrückt machen von der Hektik, die unsere Welt antreibt? Ich denke nicht… sie geniesst einfach gemächlich den Weg in ihrem ganz eigenen Tempo…

Gehe ich meinen Weg eigentlich in meinem Tempo? Oder lasse ich mich von diesen inneren und äusseren Kameltreibern durch mein Leben scheuchen?

Ich nehme mir vor, mehr wie die Schnecke zu sein…

Alles braucht seine Zeit, scheint sie zu sagen und schleicht ganz gemütlich durchs Leben – auch sie kommt voran… es macht durchaus Sinn, immer wieder einen Gang herunterzuschalten und mal zu schauen, wo und wie man steht und geht und was alles da ist. Und die Schnecke fühlt sich sicher, denn sie hat ja ihr Haus dabei und sie weiss genau, wann es Zeit ist, sich zurückzuziehen und wann man wieder die Fühler ausstrecken kann.

 

Danke, kleiner Schleicher, für diese wertvolle Inspiration :-)

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