Anker setzen

Franziska Hauenstein, 30.05.2022

Nero ist dement. Immer öfter verliert er plötzlich die Orientierung, spickt z.B. aus seinem Korb auf, neben dem ich sitze, wandert durch die Wohnung und sucht mich oder vergisst unterwegs, warum er aufgestanden ist und steht dann einfach planlos herum.

Rückblickend ging es mir in meinem Leben sehr ähnlich… Ich verlor immer wieder die Orientierung, wusste nicht, wo ich zu Hause bin, hatte keinen Anker in mir und war darum meist im Aussen auf der Suche nach Orientierung und Halt.

 

Dann kam Nero in mein Leben und hat meine Navigation übernommen. Immer wieder hat er mein Schiff zu mir selber, in meinen eigenen Korb navigiert. In den letzten 1-2 Jahren wurden seine „Bestrebungen“ immer hartnäckiger. Denn durch sein Alter und dass er nicht alleine sein kann, ist unser Alltag sehr strukturiert und meine Bewegungsfreiheit im Aussen extrem eingeschränkt geworden.

Seeehr lange habe ich dagegen gekämpft und manchmal hadere ich immer noch damit, dass ich fast nicht mehr in der Welt unterwegs sein kann und einfach immer wieder gnadenlos auf mich selber und in die Langsamkeit zurückgeworfen bin.

Aber ab dem Moment, als ich mich Neros beharrlichem 'immer wieder zu mir steuern' hingegeben habe und wirklich-wirklich bei mir geblieben bin, habe ich irgendwann angefangen, den Halt in mir selber zu finden.

Es war (und ist) ein harter, steiniger Weg - mein innerer See extrem stürmisch, dunkel, tief und bedrohlich…

 

Heute Morgen, als Nero auf dem Spaziergang wieder plötzlich planlos Kreise dreht, verwirrt herumschaut und dann einfach in irgendeine Richtung davonirrt, habe ich das Gefühl, dass sich das Blatt jetzt gewendet hat. Dass es für meinen kleinen Hundekapitän nun an Zeit ist, in den Ruhestand zu treten und dass ich jetzt Neros und meine Navigation übernehme, denn ich sehe, ohne mich wäre er verloren in dieser Welt.

Aber wenn ich ganz ehrlich bin und genau hinschaue, sehe ich auch, dass ich noch nicht ganz alleine segeln kann. Nero ist noch hier, er hat seinen Kapitänsposten zwar an mich abgegeben, aber er trainiert mich weiter durch sein ‚noch hier sein‘. Er trainiert mich jetzt darin, meinen Halt in mir selber zu verankern.

Denn immer wieder zieht es mich nach aussen, so verlockend und vermeintlich leichter ist es, da draussen etwas zu finden, was mich erfüllt…. Aber weil ich Nero so bedingungslos und tief liebe, bleibe ich bei ihm und dadurch bei mir. Still und beharrlich ist er einfach da, lässt mich nicht flüchten, lässt mich mich nicht verlieren, erinnert mich an meinen Weg und daran, wo ich meinen Anker immer wieder neu setzen kann und muss.

 

Es wird mir wieder einmal bewusst, welch unendlich grosse und bedeutsame Rolle, dieser kleine Hundemann, dieses wundersame Wesen in meinem Leben spielt… Ohne ihn wäre ich verglüht in dieser Welt, verbrannt und untergegangen im Meer der unendlichen Eindrücke und Möglichkeiten… Die Bedeutung unserer Verbindung ist nicht in Worte zu fassen, darum fliessen grad einfach Tränen…

„DANKE kleiner Mann, ich liebe DICH!“

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